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BL_01_2016_APP

44 – KOLUMNE – Die Schambureks An Fasnacht maskiert man sich, damit man die Maske fallen lassen kann. (Dr. Gerhard Uhlenbruck, deutscher Mediziner und Aphoristiker) Je nach Lust, Laune und Anforderung können oder aber müssen Frauen auch fernab der Faschingszeit mehrmals pro Tag ihre Persönlichkeit, einem Chamäleon gleich, verändern: Mutter, Managerin, Kumpel, Freundin, Hausfrau, Geliebte. In durchschnittlich elf verschiedene Rollen schlüpften Frauen laut einer Baileys-Studie täglich. Doch auch wenn wir uns mit den verschiedenen «Ichs» identifizieren, wirklich spassig finde ich persönlich das Ausleben dieser Persönlichkeitsanteile im sel- tensten Fall. «Wir sind so sehr damit beschäftigt, alles Mögliche zu machen, um äussere Werte zu erreichen, dass wir darüber den inneren Wert vergessen: Die Lust, lebendig zu sein! Darum geht es», bemerkte schon der amerikanische Autor und Mythologe Joseph Campbell. Darum gibt es Karneval. Dieses jahrtausendalte Ritual des Verkleidens sowie der Heiterkeit fordert uns dazu auf in andere Rollen zu schlüpfen. Ich finde dies eine ganz wunderbare Gele- genheit und Tradition auch einmal in überzeichnete, exzentrische, skurrile oder fantasievolle Rollen zu schlüpfen, die nicht in unseren Alltag integrierbar wären – als Experiment. So wie wir uns auch bei einem noblen Ball anders bewegen, sprechen und geben, bewirkt auch ein Kostüm eine gewisse Persönlichkeitsveränderung. Rollenspiele verändern übrigens nachweislich unsere neuronalen Vernetzungen und können zu erhöhter Vitalität und sogar geistiger Leistung beitragen. Schon ein kurzer Zeitrahmen kann sich positiv auswirken – vorausgesetzt natürlich, die Verkleidung wurde mit Bedacht gewählt. Ein gutes Karnevalskostüm fördert Kreativität, Ausgelassen- heit, Humor – und auch Authentizität. Verkleiden, so meine ich, heisst nicht «jemand anders» zu sein, sondern nur einen anderen Blickwinkel einzunehmen. Eine Kostümierung bewirkt eine spielerische Erfahrungserweiterung und ermöglicht latente Persönlichkeitsfacetten zu entdecken, sich Neuem zu öffnen und Unerwartetes zulassen. Natürlich bieten sich diese Gelegenheiten auch unterm Jahr, aber selten in einem so fröhlichen, ausgelas- senen Rahmen, wie bei den «drey scheenschten Dääg». Nicht schon wieder Fasnacht. Jeder meint, nun ist es Zeit, all das, was man im Alltag nicht ausleben kann, all die Persönlichkeiten, die man gerne wäre, in die wenigen Stunden wilden Treibens in den Fasnacht-Festen, hineinzupacken. Traurig finde ich das – dreihundertvierundsechzig Tage Gefängnis – vielleicht ein Tag, jener Abenteurer, Bohemien, Magier, Philosoph, Henker, Don Juan, Prinz oder Ritter sein zu dürfen, den man gerne wäre. In Ansätzen das Leben spüren, das man leben sollte. Aber leider ist es nur ein vorübergehender kurzer Eindruck, den man durchleben darf, weil Fasnacht ist. Ich mag diese Farce des Verkleidens nicht. Ich gebe zu, vielleicht sehe ich das Thema «Verkleiden» zu eng, vielleicht habe ich mich erst spät selbst erkannt und meine lebenslange Verkleidung abgestreift, daher meine Abneigung. Aber ich war nie ein Freund der Fasnacht, ein Enthusiast vorgeschriebener Lustigkeit. Mir sind Menschen, die ihre Hemmungen und Unsicherheiten erst im Schutz der Maske- rade verlieren nicht geheuer. Mit Alkohol gepaart sind lustige Massen unkontrollierbar und unheimlich, Lustigkeit und Gewalt sind nur ein Hauch voneinander entfernt. Einzig der Karneval in Venedig wäre eine Gelegenheit vor dem Hintergrund der Lagunenstadt in die erotischen Fantasien der Schnitzler‘schen Traumnovelle oder der modernen Variante von Stanley Kubrick, «Eyes wide shut» hinabzusteigen und das Prickeln des Unbe- kannten zu erleben, die mich maskiert reizen könnte. Aber das war es dann auch schon wieder. Ich will mein Leben in realiter leben, echt, authentisch – einmal Abenteurer, einmal Philosoph, einmal Ungeheuer, einmal Romeo und dann vielleicht Julia, am Vormittag in Avantgarde, am Nachmittag Waldschrat. Je nach Lust und Laune möchte ich meine Facetten durchleben, ausleben, erleben und nicht warten, bis ich «darf», nur weil die Struktur und Gesellschaft strenge Vorgaben macht – wann, wer, wie – zu sein hat. Ich versuche es mit Paul von Heyse zu halten, der sagte: «Wer immer wagt, sich selbst zu spielen, der muss nicht aus der Maske schielen». Es gelingt nicht immer, aber immer öfter. CHRISTIAN SCHAMBUREK IRMIE SCHÜCH-SCHAMBUREK Meine Meinung Seine Meinung *CHRISTIAN SCHAMBUREK IST UNTER ANDEREM HERAUSGEBER, SCHREIBT ÜBER AUTOMOBILE, REISEN UND DENKT VIEL ÜBER DAS LEBEN NACH. *IRMIE SCHÜCH-SCHAMBUREK IST LIFESTYLE-JOURNALISTIN, TREND & STYLE CONSULTANT, MODEEXPERTIN, BUCHAUTORIN. WWW.TRENDVISION.AT BL_01_16_s44-45_Private_Selection.indd 1 18.12.15 12:57 BL_01_16_s44-45_Private_Selection.indd 118.12.1512:57

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