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Nordic Talking: Der Katalog

5756 SPRECHEN & SCHREIBEN Wir sind dafür bekannt, eine große Literatur- und Kulturnation zu sein und gleichzeitig eine primitive Gesellschaft von Bauern und Jägern, die nichts von Wirtschaft verstehen und davon überzeugt sind, dass es sich bei Banken um Zauberlabore handelt, die aus Luft Geld machen. Dazu fällt mir, ohne dass ich jemandem zu nahe treten möchte, augenblick- lich das Konzept des „noble savage“ ein, des „edlen Wilden“. Wir haben – stolz auf unsere besondere Stellung – dieses Bild immer eher genutzt, als uns dagegen zu wehren. Das Stereotyp behauptet, Isländer seien Natur- kinder, die an Elfen und Geister glauben. Aber in Wirklichkeit ist unser Verhältnis zur Natur nicht im- mer ein gutes. Erst in der jüngsten Vergangenheit ist ein gesellschaftliches Bewusstsein entstanden, das die Natur nicht als Feind sieht, mit dem man permanent im Konflikt steht, sondern dass es un- sere Verantwortung ist, das Land zu pflegen und zu schützen. Wir sehen es als selbstverständlichen Luxus an, spontan in die Natur fahren zu können. Dieser Luxus kompensiert einige der Nachteile, die das Leben in einem kleinen Land mit sich bringt: die Uniformität, das Minderwertigkeitsgefühl, der Provinzialismus, der ein Hindernis für unsere Kom- munikation untereinander und mit anderen Ländern ist. Eine Auswirkung unserer Provinzialität war der berüchtigte Bankencrash, der mit den Banken auch unser Selbstbild zum Einsturz brachte. Beim not- wendigen Aufbau eines neuen Selbstbildes sollten wir nicht der Versuchung nachgeben, uns auf die Krücke des Nationalismus zu stützen, denn dieser ist ein lächerliches und unzeitgemäßes Phänomen, egal von welcher Seite man es betrachtet. Und an dieser Stelle kommt die Literatur ins Spiel. Sie ist ein Spiegel, der alles zeigt; sowohl das Schöne als auch das Hässliche. Glücklicherweise können wir uns trotz allem als Literaturnation bezeichnen. Lite- ratur wird in den Schulen in jeder Altersstufe un- terrichtet, und es ist bemerkenswert, wie groß die Zahl unserer Berufsschriftsteller ist, die Erfolg ha- ben. Wie Sie sicher schon mehrfach gehört haben, kauft ein durchschnittlicher Isländer acht Bücher im Jahr – was nur Gutes verheißt. Aber die Vielzahl der isländischen Berufsschriftsteller beruht auf einer Notwendigkeit: Trotz unserer geringen Größe sind wir eine Nation und müssen unsere eigene Kunst hervorbringen. Es sollte nur natürlich sein, dass eine Gesellschaft, die einen hohen Lebensstandard hat, auch Ansprüche an ihren geistigen Reichtum stellt. Wir haben nicht immer im Wohlstand gelebt. Meistens waren wir mit dem Überleben beschäftigt im Angesicht von harten Wintern, rauen Sommern und Naturkatastrophen. Vor hundert Jahren war es noch normal, dass es in jedem Haus nur zwei Bü- cher gab, religiöse Bücher, aus denen am Abend abwechselnd vorgelesen wurde. Erst später wurden Bücher zum selbstverständlichen Vergnügen, denn das Programm des einzigen Fernsehsenders war kurz und von schlechter Qualität. Das hat sich in den letzten Jahren rasant verändert, wie sich auch die ganze Gesellschaft rasant verändert hat. Nicht zum Schlechten, wenn Sie mich fragen – sie hat sich lediglich verändert. Bücher sind kein selbstver- ständliches Vergnügen mehr, sondern eine Welt, in die man die Menschen einführen muss, zum Lesen ermutigen muss, an die Freude und den Genuss erinnern muss, die darin bestehen, sich eine Ge- schichte mit selbstgewähltem Tempo und mithilfe der eigenen Vorstellungskraft anzueignen. 23.04.-16.05. Mo-Fr 10:00-19:00 Uhr, Sa 11:00-16:00 Uhr Münchner Stadtbibliothek Am Gasteig Arctica Ausstellung über skandinavische Polar- literatur und Expeditionsberichte um 1900 • Wir noblen Wilden Über das Überleben der Natur und der Literatur Von Guðrún Eva Mínervudóttir

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