5554 SPRECHEN & SCHREIBEN Oder entlarvt Tuomas Kyrö vielmehr das Mär- chen vom Tellerwäscher, wenn er seinen Helden nur mithilfe des Kaninchens aus dem Zauberer- zylinder immer reicher und berühmter werden lässt? Sein Postulat lautet ja gerade, dass es einen Sinn im Leben geben kann, dass er aber im Einfachen, Arglosen liegt. Man darf nicht vergessen, dass sich der Roman bewusst auch als Märchen gebärdet und sich somit von der realistischen Wirklichkeitstreue entpflichtet. Kyrös Trumpf ist die erzählerische Dreistigkeit, die aber auch zum Genre des Schel- menromans gehört: Jederzeit kann alles passieren. Auf der anderen Seite, sozusagen im Schatten des Ulks, steht natürlich genau die Erkenntnis, die Sie in Ihrer Frage formulieren: Ohne Zauberei kann ein Vatanescu nichts werden, weder in Finnland noch in Deutschland. „Bettler und Hase“ erzählt von der Migration – haben Sie den Eindruck, dass Skandinavien oder zumindest Finnland lockerer mit dem Thema um- geht als Deutschland, wenigstens literarisch? Wenn man im Ausland lebt, lernt man zu verste- hen, dass Deutschland eines der liberalsten und tolerantesten Länder auf der ganzen Welt ist. Und dass hier die Integration auf der Alltagsebene sehr weit fortgeschritten ist. Daran könnten sich manche skandinavische Länder ein Beispiel nehmen. Wobei sich die Länder bei dem Thema stärker voneinander unterscheiden als bei anderen Themen. Finnland ist lange eine ziemlich homogene Gesellschaft gewe- sen. Dort gewöhnt man sich erst allmählich daran, dass die Zahl der Immigranten zunimmt. Ein wich- tiges literarisches Thema ist Migration in Finnland definitiv nicht. Es gibt auch kaum Migranten, die auf Finnisch oder Schwedisch (immerhin die zweite Landessprache) schreiben. Wenn Tuomas Kyrö einen Migranten als Held ein- setzt, dann ist das für finnische Verhältnisse wohl eher noch eine Provokation als ein Zeichen für ge- lungene Integration. Allerdings wäre ihm das viel- leicht nicht eingefallen, wenn er nicht davon hätte ausgehen können, dass zumindest die meisten Le- ser von Literatur einen Vatanescu durchaus verkraf- ten. Der Erfolg gibt ihm Recht. Das Buch hat es in Finnland immerhin auf die Bestsellerliste geschafft. Mit der Integration scheint es voranzugehen. Stefan Moster, geboren 1964, lebt seit 2002 in Espoo im Großraum Helsinki. Er studierte Literaturwissenschaft, Finnougristik und Skandinavistik in München. Stefan Moster hat zahlreiche Werke der finnischen Literatur ins Deutsche übersetzt (Prosa, Lyrik, Drama) und sich auch darüber hinaus vielfältig in der finnisch-deutschen Lite- raturvermittlung engagiert. Im Jahr 2009 veröffentlich- te er seinen ersten eigenen Roman, „Die Unmöglichkeit des vierhändigen Spiels“; 2011 folgte „Lieben sich zwei“. Stefan Moster, geboren 1964, lebt seit 2002 in Espoo im Großraum Helsinki. Er studierte Literaturwissenschaft, Finnougristik und Skandinavistik in München. Stefan Moster hat zahlreiche Werke der finnischen Literatur ins Deutsche übersetzt (Prosa, Lyrik, Drama) und sich auch darüber hinaus vielfältig in der finnisch-deutschen Lite- raturvermittlung engagiert. Im Jahr 2009 veröffentlich- te er seinen ersten eigenen Roman, „Die Unmöglichkeit des vierhändigen Spiels“; 2011 folgte „Lieben sich zwei“. PORTRÄT Stefan Moster © Laura Malmivaara isländische literaturgeschichte, band IV: literaturnobel- preisträger hÁlldÓr laxness im kreise von kollegen in gala- garderobe © HallgrÍmur Helgason