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Nordic Talking: Der Katalog

5352 SPRECHEN & SCHREIBEN Sie leben seit vielen Jahren in Finnland. Ihr All- tag findet auf Finnisch statt, in Ihrem Beruf geht es um die deutsche Sprache: Sie haben nicht nur Dutzende Bücher aus dem Finnischen ins Deut- sche übersetzt, sondern arbeiten aktuell auch an Ihrem dritten eigenen Roman. Vielleicht könnten Sie kurz die Eigen- oder Besonderheiten der fin- nischen Sprache im Vergleich zur deutschen skiz- zieren? Die größte Tücke besteht darin, dass die beiden Sprachen so weit voneinander entfernt sind, auf allen Ebenen. Das Finnische ist ja keine indoeuropä- ische Sprache und funktioniert daher völlig anders. Das heißt, man muss zuerst ins Finnische voll hin- eingehen und es sozusagen komplett auf Finnisch verstehen – und dann alles vergessen, einen Riesen- schritt machen und das Ganze noch mal komplett auf Deutsch denken und formulieren. Es muss Lite- ratur entstehen, die das Angesicht ihres Verfassers oder ihrer Verfasserin bewahrt. Darum geht es. In „Bettler und Hase“ von Tuomas Kyrö, das eben in Ihrer Übersetzung auf Deutsch erschienen ist, wird die Geschichte des rumänischen Rom Vata- nescu erzählt, der sich an die organisierte Krimi- nalität verkauft, illegal nach Finnland verbracht wird und dort in eine brenzlige Situation nach der anderen tappt, um schließlich mithilfe eines Ka- ninchens eine ziemlich irre Karriere zu machen. Solche Schelmenromane kennt man von Rosa Liksom oder auch von Arto Paasilinna. Darf man dieses Genre schon als finnischen Literaturtrend begreifen? Sagen wir so: es ist eine Strömung innerhalb der finnischen Literatur, die Gewicht hat, obwohl sie nur von wenigen Autoren und Werken repräsen- tiert wird. Rosa Liksom hat einen solchen Roman geschrieben – nämlich „Crazeland“ –, der aber auch schon wieder den Rahmen sprengt. Arto Paasilinna hat das Genre kultiviert – dies aber wiederum oft in simplifizierter Gestalt. Der erste Roman in finnischer Sprache überhaupt – „Die sieben Brüder“ von Aleksis Kivi – weist Ele- mente des Schelmenromans auf, ist aber auch kein lupenreiner Vertreter des Genres. Also: ich würde nicht sagen, dass es typischer für die finnische Literatur wäre als für andere Literatu- ren. Der Roman von Tuomas Kyrö ist natürlich von Arto Paasilinnas Schelmenroman „Das Jahr des Hasen“ inspiriert. Literaturwissenschaftler würden wohl von einem Pastiche sprechen. Paasilinnas Held heißt Vatanen und ist Finne. Kyrös Held ist Rom und heißt Vatanescu. Allein das ist natürlich eine tolle Geste, denn damit wird einem Impetus von Paasilin- nas Roman (der gute, edle Finne gegen den Rest der Welt) effektiv der Boden unter den Füßen weggezo- gen, denn die Roma gehören zu denjenigen, die von den edlen finnischen Rassisten am meisten gehasst werden. Da Sie in Finnland leben, haben Sie vermutlich auch den finnischen Buchmarkt gut im Blick. Was lesen denn die Finninnen und Finnen gerade am liebsten? Einerseits den internationalen Müll, der überall gelesen wird, andererseits bevorzugt finnische Bü- cher. Man ist doch ziemlich auf sich selbst fixiert und glaubt, nur echte Finnen und Finninnen wären in der Lage, einem Vollwertiges über das Dasein zu bieten. Die Wahrnehmung ist da total verzerrt. Das Einheimische wird grundsätzlich höher eingeschätzt als das, was qua Übersetzung ins Land kommt. Der Vorteil daran ist, dass unter Umständen auch Bü- cher mit eher „schwierigen“ Themen großen Erfolg haben können (sofern sie von Finnen geschrieben worden sind), speziell dann, wenn sie Berührungs- punkte mit der finnischen Geschichte oder aktuel- len finnischen Wirklichkeit aufweisen. Was entgeht denn den deutschen Lesern, da sie ja nur diesen Teil der finnischen Literatur zu lesen bekommen? Den deutschen Lesern entgehen Erzählungen und Lyrik, weil praktisch nur Romane übersetzt werden. Außerdem entgehen den deutschen Lesern einige wichtige Klassiker der finnischen Literatur, sogar so ein irrsinnig wirkungsmächtiges Werk wie der drei- bändige Roman „Hier unter dem Polarstern“ von Vä- inö Linna. Und von den Gegenwartsromanen finden selbst die besten nicht den Weg auf den deutschen Markt, wenn die „Themen“ nicht stimmen. Deutsche Verlage wissen oft selbst nicht so genau, für welche Art der finnischen Belletristik sie sich in- teressieren. Es soll halt nicht zu finnisch sein, aber auch nicht zu wenig finnisch; auch soll es nicht so schwer sein, sondern gut verkäuflich, vielleicht ein bisschen skurril und humorig. Das Kriterium „gutes Buch“ ist beim Handel mit Buchrechten bestenfalls ein sekundäres. Tuomas Kyrö, geboren 1974 in Helsinki, wo er heute lebt, gehört zu den renommiertesten finnischen Autoren der jüngeren Generation. Er hat bereits mehrere Romane veröffentlicht. Seine Werke wurden mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet, unter anderem mit dem Kalevi-Jäntti-Preis, dem wichtigsten Förderpreis für Nachwuchsautoren, und der Kiitos-kirjast-Medaille des finnischen Buchhandelsverbandes. „Bettler und Hase“ führte wochenlang die finnischen Bestsellerlisten an. Tuomas Kyrö, geboren 1974 in Helsinki, wo er heute lebt, gehört zu den renommiertesten finnischen Autoren der jüngeren Generation. Er hat bereits mehrere Romane veröffentlicht. Seine Werke wurden mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet, unter anderem mit dem Kalevi-Jäntti-Preis, dem wichtigsten Förderpreis für Nachwuchsautoren, und der Kiitos-kirjast-Medaille des finnischen Buchhandelsverbandes. „Bettler und Hase“ führte wochenlang die finnischen Bestsellerlisten an. • SA 27.04. 19:00 Uhr / Gasteig, Black Box Bettler und Hase Lesung und Gespräch mit Tuomas Kyrö Moderation: Stefan Moster, Lesung des deutschen Textes: Matthias Hirth Nicht zu viel finnisch, aber auch nicht zu wenig Ein Gespräch mit dem Übersetzer Stefan Moster PORTRÄT TUomas Kyrö © Laura Malmivaara

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