4140 Laut & LEISE Was wäre geschehen, wenn das Lied ein Ever- green geworden wäre, ein Klassiker wie Satumaa, Summer In The City oder Strangers In The Night? Es gibt Beispiele für einzelne Songs, die ganze Famili- enclans ernährt haben. Oder wenn der Song zumin- dest ein kleiner Erfolg gewesen wäre? Dann hätten Joni, Ariel & Adriana neue Singles, vielleicht sogar ein Album einspielen dürfen. Und dann hätten sie als Gruppe weitergemacht, eine gemeinsame Kar- riere begonnen und sich vielleicht gegenseitig ein wenig besser schützen und behüten können. Anfangs waren meine Fragen ganz simpel. Stand Ariels Schicksal von Anfang an in ihm ge- schrieben? Ließ sich in Adriana eine Zerbrechlich- keit erahnen, obwohl sie so hinreißend schön war und auf jedem der Fotos aus diesem Frühling einen so selbstsicheren Eindruck machte? Sahen sie ei- nander, verstand der eine, wer der andere und der dritte war? Sahen sie das Fragile hinter all den spöt- tischen Gesten, all den ironischen Bemerkungen, all den kettengerauchten Zigaretten, die so lässig im Mundwinkel wippten? Oder sahen sie nichts? Wur- de alles hinter der Attitüde, hinter der Extravaganz, hinter den Kleidern versteckt, die sie vor der Fo- tosession von Adrianas reichen Freunden kauften oder liehen? Wurde alles hinter der Samtjacke und dem Wildlederjackett verborgen, hinter dem bun- ten Hemd mit der Krause an der Brust und hinter den lustigen Hüten? auszug aus dem Roman „Geh nicht einsam in die nacht“. Aus dem Finnlandschwedischen von Paul Berf. btb Verlag, München 2013 Mit freundlicher genehmigung des btb verlages Im Sommer 1966 begannen die Redakteure des beliebten Radioprogramms Sommerhausgrammo- phon die bereits ein Jahr alte Single Die Botschaft des Abendwinds des finnischen Männerchors Die erwachsenen Männer zu spielen, und schon bald entwickelte sich das Stück zur regelrechten Land- plage. Im selben Jahr veröffentlichten die Beatles Yellow Submarine und Eleanor Rigby. Die Rolling Stones konkurrierten mit Under My Thumb und Lady Jane, die Beach Boys mit God Only Knows und die Kinks mit Sunny Afternoon. Der Protest- sänger Irwin Goodman, der eigentlich Antti Ham- marberg hieß und auf Anraten seines Managers begonnen hatte, nasal zu singen, weil Bob Dylan dies tat, wurde mit Ein Schnäpschen in Ehren und Mit dem Auto auf die Kanarischen Inseln landesweit beliebt. In den ländlichen Regionen Finnlands hielt man sich an vertraute Lieblinge wie den berühmten Tango Satumaa und Die Telefondrähte singen. Einer der größten Sommerhits in jenem Jahr war Lovin´ Spoonfuls Summer In The City. Anfang August nahm der Sänger Danny in einem Studio im Helsingforser Vorort Sockenbacka eine finnische Version davon auf. Im selben Augustmonat präsentierte Bob Dylan das Doppelalbum Blonde On Blonde, und in Studen- tenbuden in der ganzen Welt spielten junge Männer mit schmutzigen Stirnlocken und langen Nacken- haaren immer wieder diese Platte und suchten in den Texten von Sad-Eyed Lady Of The Lowlands, Visions Of Johanna und Absolutely Sweet Marie nach verborgenen Botschaften. In Büros arbeiten- de Männer bevorzugten dagegen Herb Alpert & The Tijuana Brass und Frank Sinatras Stranger In The Night, die sie auf ihren frisch erworbenen Ste- reoanlagen mit Boxen aus schickem, dunkel schim- merndem Edelholz abspielten. Lieder, die im Lärm untergehen Von Kjell Westö U-Musik. E-Musik. So unterschied man damals, und manche tun dies sicher noch heute. Für mich sind solche Unterscheidungen allerdings nur leere Worte. Jede Musik, die mit ehrlicher Absicht ge- schrieben und gespielt wird, mit möglichst wenig Berechnung und Seitenblicken, kann Nähe und Einsichten vermitteln, sogar Trost spenden. Eine volkstümliche Melodie, ein Streichquartett, ein Jazzstück, ein Popsong: Sie alle können Schwie- len und Verhärtungen der Seele durchstoßen und tief in die Nischen dringen, in denen wir ohne Ver- stellung, ohne Masken und Finten existieren. Ein ehrliches Lied hat stets die Kraft, das Leben des Zuhörers von Grund auf zu verändern. Lieder, die groß werden und viele erreichen, verändern auch das Leben ihrer Autoren. Zumindest schenken sie ihnen Geld und Ehre. Und dann gibt es noch Lieder, die im Lärm untergehen, die keiner hört. Zu den schnell vergessenen Plattenveröffentli- chungen des Sommers 1966 gehörte die Single Älä käy yöhön yksin/Hiljaisuuden äänet der Gesangs- gruppe Joni, Ariel & Adriana. Die B-Seite der Sin- gle war eine biedere Coverversion von Simon & Garfunkels The Sound Of Silence. Die A-Seite, Älä käy yöhön yksin, war eine Originalkomposition, ge- schrieben von Ariel. Älä käy yöhön yksin, also Geh nicht einsam in die Nacht, wurde in diesem Sommer ungefähr zehn Mal im Radio gespielt. Hiljaisuuden äänet lief etwas öfter, weil die Originalversion so bekannt war. Die Single erschien beim Label Sonovox, und es wurden gut 900 Stück davon verkauft. Bei Sonovox war man damit nicht zufrieden, so dass keine weiteren Plat- ten folgten. Kjell Westö ist einer der bekanntesten finnlandschwedi- schen Autoren der jüngeren Generation, geboren 1961 in Helsinki, wo er heute noch lebt. Seit seinem literarischen Debüt 1986 hat er drei Gedichtsammlungen, mehrere Bände mit Erzählungen und vier Romane veröffentlicht. Kjell Westö ist vielfach preisgekrönt, unter anderem mit dem Finnischen Literaturpreis für seinen Roman „Wo wir einst gingen“. Kjell Westö ist einer der bekanntesten finnlandschwedi- schen Autoren der jüngeren Generation, geboren 1961 in Helsinki, wo er heute noch lebt. Seit seinem literarischen Debüt 1986 hat er drei Gedichtsammlungen, mehrere Bände mit Erzählungen und vier Romane veröffentlicht. Kjell Westö ist vielfach preisgekrönt, unter anderem mit dem Finnischen Literaturpreis für seinen Roman „Wo wir einst gingen“. • SA 04.05. 19:00 Uhr / Gasteig, Black Box Geh nicht einsam in die Nacht Lesung und Gespräch MIT Kjell Westö Porträt Kjell Westö © Cata Portin