25 Von der Ölindustrie jedenfalls, die Harstad zu einem Stavanger des Nordens gemacht hätte, war vierzig Jahre nach Beginn des norwegischen Olje- Eventyrets kaum mehr zu sehen als das, was an Bü- rostühlen nach Norden geschickt wurde. Aber das sollte sich jetzt ändern. Dafür gab es Männer wie Helge Eriksen, die den „Aufbau nordnorwegischer Muskeln“ vorantreiben wollten. Und Frauen wie Ani- ta Andersen Stenhaug, die auf Produktionsschiffen gearbeitet hatten. Sie war schon als Kind zu einer Bohrinsel hinausgerudert, die von Harstad aus zu Probebohrungen nach Norden aufbrach. An Selbstbewusstsein mangelte es hier keinem. Der Norden hatte Fisch, Gas, Öl, mineralische Rohstoffe und ein atemberaubendes Panorama. Der Norden hatte Zukunft, sobald Oslo nur end- lich grünes Licht für die notwendigen Vorbereitun- gen gab. „In der Debatte“, sagte Eriksen, „ist von einer Wahl zwischen Natur und Industrie die Rede. Da- bei ist die Antwort kein Entweder-oder. Wir glau- ben an ein Sowohl-als-auch.“ Die anderen in der Runde nickten. „Und es ist ja auch so“, sagte Erik- sen da, „im Norden mangelte es an den Jobs, die junge und gut ausgebildete Leute hier oben halten. Die Energiebranche kann uns helfen, diesen Trend umzukehren.“ Anita Andersen Stenhaug sagte: „Wir können hier oben nicht weiter das ganze Jahr am Kai stehen und auf Touristen warten. Wir müs- sen die ganze Palette unserer Möglichkeiten aus- schöpfen, ohne uns einseitig von einem einzigen Standbein abhängig zu machen.“ Und Eriksen wieder: „Die jungen Leute wollen an die Zukunft glauben. Es kommt auf den Optimis- mus an, den ein Ja zu den Unternehmungen vor unseren Küsten auslösen wird.“ Das war so schön, dass ich auf das Angebot zurückkam, einen der neuen „Statoil“-Kugelschreiber in meine Tasche stecken zu dürfen. Der nächste Morgen. Ich brach früh auf, um die Landschaft bei Tageslicht durchfahren zu können. An einer Tankstelle hatte ich mich mit Sivert Høy- ems Album „Moon Landing“ versorgt. Der Titelsong war eine Durchhaltehymne mit dem Refrain: „I’m going to make this my own moon landing. I’m going to give this best that I’ve got.” Das war angemessen. Schließlich bog ich vor Harstad, der drittgrößten Stadt Nordnorwegens, auf den Parkplatz eines Un- ternehmens ein, dessen Vorstandsvorsitzender ge- rade den bescheidenen Satz „Where we lead others will follow“ geprägt hatte – eineinhalbtausend Kilo- meter entfernt. Ob sie in Stavanger, dem Hauptsitz des Energiegiganten Statoil, überhaupt wussten, dass in der Außenstelle Harstad bereits der erste ausgestopfte Eisbär im Foyer steht? „Wow, ein Eis- bär“, sagte ich vorsichtshalber, als mich die Pres- sedame mit der für diese Berufsgruppe üblichen Mischung aus echter Freundlichkeit und knallhar- tem Kalkül begrüßte. Sie ging auf den Bären nicht ein. Sie fragte, ob ich einen Kugelschreiber mit dem neuen Logo haben wollte: einer Art Nordstern, der die Firmenvision „Crossing Energy Frontiers“ ver- deutlichen sollte. Dann führte sie mich durch ein menschenleeres Bürogebäude: „Ist ja Sonntag.“ Oben, in den Korridoren der Macht, stand Helge Eriksen, der Bürgermeister von Harstad, mit einem kleinen Empfangskomitee vor einem Kaffeeautoma- ten. Er wartete, bis ich allen die Hand geschüttelt hatte, und geduldig wartete er auch im Büro, bis Svein Johnny Grønhaug als „Statoil-Industrikoor- dinator Nord-Norge“ und Gastgeberin Anita An- dersen Stenhaug die Visitenkarten auf den Tisch legten. Geduld. Vielleicht lernt man das in einem Ort, der 350 Kilometer nördlich des Polarkreises auf das goldene Zeitalter wartet. 24 BILDER & ZEITEN Die Romantik ist eingefroren Eine Besichtigung der nordnorwegischen Muskeln in Harstad Von Matthias Hannemann Bild © Karin Beate Nøsterud/norden.org Matthias Hannemann, Jahrgang 1975, verdient sein Geld mit Reportagen und Texten aus und über Nord- europa für die Frankfurter Allgemeine Zeitung und das Wirtschaftsmagazin brand eins. In den Norden des Nordens gelangte er erstmals 1994 – per Zufall: Ein internationales Jugendaustauschprogramm hätte ihn in die Vereinigten Staaten führen sollen, doch er landete in Norwegen, direkt hinter dem Polarkreis. Kurz darauf studierte er Geschichte, Skandinavistik und Rechts- wissenschaften in Bonn und Oslo. 2006 war Matthias Hannemann Nordeuropa-Stipendiat des Internatio- nalen Journalistenprogramms IJP. Er wurde mit dem IFD-Medienpreis ausgezeichnet und zählte 2009 zu den Nominierten des Theodor-Wolff-Preises. Matthias Hannemann, Jahrgang 1975, verdient sein Geld mit Reportagen und Texten aus und über Nord- europa für die Frankfurter Allgemeine Zeitung und das Wirtschaftsmagazin brand eins. In den Norden des Nordens gelangte er erstmals 1994 – per Zufall: Ein internationales Jugendaustauschprogramm hätte ihn in die Vereinigten Staaten führen sollen, doch er landete in Norwegen, direkt hinter dem Polarkreis. Kurz darauf studierte er Geschichte, Skandinavistik und Rechts- wissenschaften in Bonn und Oslo. 2006 war Matthias Hannemann Nordeuropa-Stipendiat des Internatio- nalen Journalistenprogramms IJP. Er wurde mit dem IFD-Medienpreis ausgezeichnet und zählte 2009 zu den Nominierten des Theodor-Wolff-Preises. • Mo 06.05. 20:00 Uhr / Gasteig, Black Box Der neue Norden Vortrag von Matthias Hannemann