Meinen Sie, wir können aus dieser Zeit sogar etwas lernen? An neuen Angeboten braucht es z. B. Gruppenangebote für Kinder, sodass sie verarbeiten können, was und wie sie die Zeit erlebt haben. Man muss zunehmend mit den Kindern in den Kontakt kommen und das Angebot potenziell auch direkt an ihren Alltag in der Familie, Schule und Kita anbin- den. Dann wäre natürlich noch die Aufgabe, das aufzuholen, was die Kinder auch im Kontakt mit Gleichaltrigen verpasst haben, also z. B. intensivere Angebote zu sozialem Lernen zu schaffen. Bei allem Druck, den wir momentan haben, Versäumtes nachzuholen, sollten wir nicht vergessen, dass es vor allem darauf ankommt, Orte zu öffnen und neue Orte zu schaffen, an denen Kinder und Jugendliche positive Erfahrungen machen und wieder Begeisterung erleben können. Wenn wir hier nur über Lernstoff sprechen, werden wir Kindern nicht gerecht. In Befragungen zeigt sich, dass sich Kinder und Jugend- liche in der Krise kaum gesehen fühlen. Was wir wieder lernen müssen, und das liegt mir sehr am Herzen und ich möchte es noch einmal betonen: Wir müssen Kinder sehen und auf ihre Bedürfnisse schauen. Das Motto für die Zeit in und nach der Pandemie ist und bleibt deswegen: Kinder sehen – Kindern gerecht werden. . Dort, wo es für die Familien immer schon schwierig war, wird es für sie durch Corona noch viel schwieriger. Aber es gibt auch Fälle, in denen zum Beispiel eine allein- erziehende Mutter in die Beratung kommt und erzählt, dass sie mit vier Kindern in einer Zweizimmerwohnung lebt, in der es nur einen Computer gibt. Sie braucht dann vorrangig nicht nur Familienberatung, sondern auch weitere Hardware und eine andere Wohnung. Wir hatten den Eindruck, dass benachteiligte Familien mit solchen Problemen häufig allein gelassen worden sind. Zeitweise haben uns ehrenamtlich tätige Studierende bei der Beschaffung von Computern für solche Familien unterstützt. Die Folgen der Pandemie werden uns voraus- sichtlich noch lange beschäftigen. Was können und müssen wir tun, um diese Entwicklungen aufzufangen? Wir alle brauchen eine Stärkung der solidarischen Struk- turen und der Schwächeren in unserer Gesellschaft. Wir befinden uns zusehends in einem Kampf, in dem viele für sich kämpfen: „Was wird geöffnet?“, „Wer wird zuerst geimpft?“, „Welche Kinder dürfen in die KiTa?“ etc. Da vertritt gerade jeder sehr stark die eigenen Interessen. Aus der fachlichen Sicht würde ich sagen, wir brauchen mehr von dem, was wir schon haben, nämlich Familien- hilfen, Beratungen, therapeutische Angebote, Gruppen. Wir sehen bereits jetzt, dass der Bedarf größer wird. Die Eltern und Kinder werden nach der Pandemie mit Beratungs- anliegen – z. B. auch familientherapeutischer Art – zu uns kommen. Wir sehen die Anmeldungen bei Kinder- und Jugendtherapien, die massiv steigen. Es gibt mittlerweile viele Studien, die zeigen, dass das Stressniveau in den Familien immens ist und dass die Auffälligkeiten bei den Kindern ebenfalls massiv angestiegen sind. 39 Im Gespräch mit Stefan Hauschild